„Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten.“ – oder doch?

„Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten.“ – oder doch?

Wir haben die Mauer schon. Wir haben sogar viele Mauern, jeder seine eigene. Jeder zu seinem eigenen Schutz. Ich lasse nichts an mich ran. Nichts und niemanden. Dann bin ich sicher. Nur dann bin ich sicher. Und Sicherheit – die brauche ich, die brauchen wir alle, besonders wir Deutschen.

Wir sind verunsichert. Wenn wir uns öffnen, unsere Mauer ein Stück absenken und jemandem die Chance geben herüberzuschauen, geben wir ihm auch die Möglichkeit uns anzugreifen. Und wir wurden alle schon verletzt. Die Gefahr ist vorhanden und Schmerzen wollen wir nicht erleiden. Deswegen senken wir unsere private Mauer nicht, oder wenn dann nur ganz wenig.

Menschen einfach auf der Straße kennenzulernen, sich zu unterhalten – wer macht das eigentlich noch? Viele sind viel zu sehr beschäftigt, mit ihrem Handy, oder mit Musikhören, oder mit irgendwas anderem. Oder sie trauen sich nur noch in den öffentlichen Raum mit ihrem Kopfhörer als akustische Mauer. Wenn ich gegrüßt werde brauche ich gar nicht mehr reagieren, ich habe ja Musik gehört und den Gruß gar nicht wahrgenommen. Dafür habe ich mal wieder mein aktuelles Essen auf Facebook mit meinen Freunden geteilt. Statt mich auf neue Menschen einzulassen und mit ihnen vielleicht über etwas zu sprechen, was mir eine neue Weltanschauung geben könnte. Viele nehmen ihr Smartphone auch mit auf die Toilette. Klar, da kann ich dann meine Zeit besser nutzen, die Pause zum Durchatmen (soweit man das da kann) stattdessen nutzen um Emails abzurufen oder meine jetzt mangelnden sozialen Kontakte online zu pflegen. Völlig ohne zwischenmenschlichen Kontakt, nur durch Drücken auf dem Touchscreen. – Vielleicht täte Drücken im echten Sinne mal gut, so eine Umarmung, mit echtem Menschen, dessen zwanzig Kilo Übergewicht man dann am eigenen Leib spürt. Die bringen einen dann vielleicht auch dazu nachzufragen: „Geht’s Dir gut?“

Kontakte pflegen, indem man da hin geht, wo ein netter Mensch wohnt, klopft oder klingelt, hereingelassen wird und mit ihm etwas Zeit verbringt. Wenn keiner da ist, gehe ich wieder. Und wenn jemand da ist, der aber gerade etwas zu tun hat, dann muss ich nicht wieder gehen, sondern helfe dabei. Ob es kochen, einkaufen oder aufräumen ist. Für einen Freund am Tisch mehr ist immer noch Platz!

Aber es gibt noch eine weitere Mauer, die dienstliche, geschäftliche. Wenn ich dem Kollegen meinen Trick verrate, mit dem ich meine Arbeit schneller als alle anderen schaffe, dann verliere ich meinen Vorteil. Der Kollege wird zum Konkurrenten, und schlimmer ist noch: nicht nur dass wir dann zwei sind, die schneller arbeiten können, hat er auch das Wissen wie das geht. Wenn er das veröffentlicht, habe ich gar keinen Vorteil mehr. Und nur mein aktueller Vorteil bringt mir doch Sicherheit für meinen Beruf. Ohne meinen Trick ist mein Beruf unsicher. So unsicher wie jeder andere Beruf auch.

Früher lernte man einen Beruf und arbeitete dann in ihm eine lange Zeit. Heutzutage ist der Wandel schneller geworden. Die Technik automatisiert mehr und mehr Arbeitsplätze. Beängstigend! Keiner ist mehr sicher. Kein Arbeitsplatz und kein Mensch. Und wozu? Für das größere Wohl von allen? Wem opfern wir da gerade unsere Sicherheit? Uns gegenseitig? Dem Gemeinwohl? – Immerhin steigert es die Produktivität. Was ist dieses „es“? Unsere Angst. Menschen gehen weniger zum Arzt, und lassen sich weniger häufig krank schreiben, weil sie Angst haben deshalb ihren Job zu verlieren. Viele müssen Arbeitsverträge zu absurden Verhältnissen annehmen, nur um überhaupt über die Runden zu kommen. Psychische Krankheiten wie Burnout nehmen seit Jahren zu. Und „Entschleunigen“ ist leicht gesagt, wenn man Zeit hat. Aber was ist mit denen, bei denen die „Entschleunigung“ zum Verlust des Jobs und der Lebensgrundlage führt? Wenn alleine nichts mehr geht, holt euch Hilfe! Ihr seid nicht allein.

Reißt die Mauern ein! Lasst andere in euer Leben, und werdet selbst Teil des Lebens der anderen.
Geht das Risiko ein! Leben bedeutet auch mal eine Verletzung zu ertragen, denn man bekommt dafür die Chance gigantische Erfolge zu haben. Das muss nicht heißen Star zu sein oder reich zu werden, aber vielleicht etwas zu erreichen, was gerade in diesem Moment nur ihr erreichen konntet: Einen Freund umarmen, einem Fremden etwas schenken, den, der so verloren wirkt fragen, wie man ihm helfen kann. Lasst andere über eure Mauer schauen und gebt ihnen eine Chance.

Wenn ihr selbst eure Mauer nicht abbauen könnt, hindert andere nicht daran sie abzubauen – das Risiko lohnt sich.

3 Gedanken zu „„Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten.“ – oder doch?“

  1. Manche bauen Mauern, um sich zu schützen, andere fahren ihre Ellbogen aus, um sich offensiv zu verteidigen.
    Wie geht man mit Mauern um? Ignoriert oder akzeptiert man sie? Erklimmt man sie ganz vorsichtig und schaut dahinter? Reißt man sie mit aller Macht ein?
    Die, die mit Absicht mauern, wollen sicherlich einfach nur in Ruhe gelassen werden. Der introvertierte Kollege will ganz sicher nicht, dass ich seine Mauer einreiße und mich in seinem Habitat breitmache. Vor seiner Mauer habe ich Respekt und ich freue mich, wenn er ab und an mal die Zugbrücke runterlässt und rausguckt 🙂
    Die Leute mit dem Smartphone auf dem Klo (zu denen ich auch ab und zu zähle), deren Kommunikation oftmals nur aus Facebook-Likes und Retweets besteht, sind sich oftmals nicht wirklich bewusst, dass sie eine Mauer aufgebaut haben, die die echten Menschen ihn ihrem Leben draußen lässt. Bei denen lohnt es sich, mal eine Kuh über die Mauer zu schleudern oder nach ein paar Schwalben Ausschau zu halten.
    Ich bau mir manchmal auch Mauern, manchmal auch ganz beabsichtigt. Das ist dann meine Art der Entschleunigung. Abends, nach einem langen anstrengenden Tag alle Kommunikationsmittel abschalten oder zumindest idlen lassen, mit der Schmusedecke auf der Couch ein bisschen berieseln lassen. Keinen hören, keinen sehen, nur ganz bei mir sein. Diese Mauer ist bitte auch mit Respekt zu behandeln 😉

    1. Mir ging es eher um die Mauern wegen Angst, die Andere generell und permanent aus unserem Leben draußen halten. Dass man sich manchmal zurückzieht, um für sich zu sein, ist völlig in Ordnung.
      Wie man mit Mauern umgehen soll? Mit den eigenen oder den fremden? Die eigenen kann man versuchen abzubauen. Bei den fremden muss man genau schauen. Das hängt sehr von der anderen Person ab, ob man überhaupt etwas macht. Deswegen war ja mein Appell an jeden einzelnen, sich seiner eigenen Mauern bewusst zu werden.

  2. Dazu auch noch der Kommentar meines Liebsten, der das hier neulich mitgelesen hat, weil er wissen wollte, was ich denn da schreibe: Was ist mit Mauern, die nur andere wahrnehmen, der „Maurer“ aber gar nicht? Es gibt ja auch so Momente, wo man denkt: „Man, der ist jetzt aber verschlossen und abweisend, an den kommt man ja gar nicht ran, mit dem kann man sich gar nicht unterhalten.“ und der Gegenüber merkt das gar nicht, dass er eine Mauer aufgebaut hat, weil er das gar nicht bewusst macht, weil er irgendwelche Ängste und Nöte hat.

    P.S: Komm schon, das war eine total genial Monty Python-Referenz oder? 😀

Schreibe einen Kommentar zu chrisinger Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert